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Turbokapitalismus

Paläste für die Chefs, Koks für die Sekretärin

Wenn der Porsche-Händler persönlich am Schreibtisch vorbeischaut, um die Bestellungen aufzunehmen, kann der Job nicht ganz verkehrt sein. In den Achtzigern, der "Dekade der Gier", machte der Kapitalismus manchmal wirklich Spaß. Investmentbanker vergnügten sich mit feindlichen Übernahmen, sie waren die Herren des Universums – oder wenigstens benahmen sie sich so.

Der Eingang zum Paradies war mit Dornen gespickt. Wer bei Lehman Brothers, New York, im 43. Stock zum Bewerbungsgespräch erschien, wurde sofort einem Stresstest unterzogen: Man möge doch bitte einmal das Fenster aufmachen.

Wer hier vorsprach, bei den Investment-Bankern von Lehman, der wollte ins Zentrum der Hochfinanz. In den Achtziger Jahren träumten Scharen von Absolventen der besten Universitäten davon, einen Job am Puls des Kapitals zu ergattern. Beflügelt wurden diese Träume von Einstiegsgehältern um die 50.000 Dollar und der Aussicht auf eine rasche Verzehnfachung des Salärs. In der "Dekade der Gier", wie man die Achtziger Jahre bald nannte, war Augenmaß nur beim Einparken des Porsches gefragt. Wer das große Geld bewegte und ebensolches verdiente, durfte unbescheiden sein: Investment-Banker waren, wie Tom Wolfe es ausgedrückt hatte, die "Herren des Universums". Bloß hätten die Herren des Universums in einer besseren Welt nicht so oft rote Hosenträger mit Dollarzeichen-Deko getragen.

Die jungen, ehrgeizigen Hoffnungsträger von den Elite-Unis durften den Eintritt in diese Sphäre auf keinen Fall verpassen. Sie traten zur Bewerbung gleich in Jahrgangsstärke an. 70 Prozent der Wirtschaftsabsolventen aus Yale versuchten 1985, bei ein und derselben Investmentbank einzusteigen. Entsprechend gnadenlos wurde gesiebt, berichtet Michael Lewis, Ex-Investmentbanker und Autor des Buches Liar’s Poker. Beliebt war, einen Kandidaten nach dem Eintreten nur wortlos anzustarren. Er grüßte, und nichts geschah. Er stellte sich vor, sagte, er sei zum Bewerbungsgespräch gekommen – keine Reaktion. Das beginnende Lavieren wurde allenfalls mit einem befremdeten Kopfschütteln quittiert. Der überrumpelte Bewerber musste zeigen, dass er das Meeting in den Griff bekommen kann.

"Beschissene Anleihen in einem beschissenen Deal"

Andere durften sich hoch oben im Büroturm am Öffnen des Fensters versuchen. Im 43. Stock geht ein Fenster nicht auf. Die Personaler lehnten sich zurück und betrachteten, wie gestresste Bewerber mit hochrotem Kopf am Rahmen herumhantierten, während ihre Selbstsicherheit so rasch dahinschmolz wie ihre Einstellungschancen. Das Parkett der Handelshäuser, wo jeder Trader täglich Millionen in die Hand nahm, war nichts für schwache Egos. Als Trainees würde man sie schinden und gelegentlich mit Telefonen nach ihnen werfen, später in der Karriere durften sie sich über einen Chef nicht wundern, der auf den Tisch springt und ihnen seine Ansicht zu Person und Performance fuchtelnd ins Gesicht brüllt. "Wenn Du die beschissene Anleihe in einem beschissenen Deal kaufst, hast du Scheißer verschissen", war unter Tradern in New York eine durchaus akzeptable Anlageinformation.

Wie Lewis berichtet, wurde übrigens der Bewerber, der das Fenster überraschend geöffnet bekam – indem er einen Stuhl hindurchschleuderte –, auch nicht genommen.

Der Ansturm auf die Jobs der Banker hatte allen Grund. Nirgendwo gab es in den Achtzigern so viel Bewegung, so aufregende Veränderungen, ein vergleichbares Gefühl unbegrenzter Möglichkeiten. Die explosive Entwicklung der Branche hatte nichts mehr von der bewährten, eben deshalb aber auch ein bisschen langweiligen Seriosität, wie man sie mit dem Bankgewerbe bis dahin verbunden hatte. Jetzt ging es um Action, Drama, Testosteron: Man dealte mit Schund-Anleihen, junk bonds, setzte auf gefallene Engel – ehemals sichere Schuldscheine, deren Rückzahlung fragwürdig geworden war –, verbündete sich mit Firmenräubern, corporate raiders, oder bekämpfte sie mit "Giftpillen" und Mitteln zur Hai-Abwehr, den shark repellents. Den Glücklichen kam vielleicht noch ein "weißer Ritter" in Gestalt eines freundlich gesonnenen Großinvestors zu Hilfe, bevor ihr Unternehmen von einem anderen geschluckt wurde. Zur Not blieb dem Management immer noch der Griff zum "goldenen Fallschirm": einer dicken Abfindung.

Schampus für die Herren des Universums

Die Dramatik der Worte, der Kampf, das Muskelspiel im Vokabular – das war keine leere Hülse. In Börsengeschäft und Investmentbanking waren tatsächlich neue, rauere Sitten eingezogen. Investmentbanker, allen voran der Junk-Bond-Guru Michael Milken und sein Arbeitgeber Drexel Burnham Lambert, finanzierten inzwischen mit Begeisterung den neuen Trendsport der Branche: feindliche Übernahmen. Meist hatten sie die Zerschlagung des aufgekauften Unternehmens und Renditesteigerungen durch Massenentlassungen zum Ziel.

Beutezüge auf Pump, sogenannte leveraged buy-outs, waren dabei besonders populär. Der Angreifer brauchte dabei sein eigenes Kapital nicht zu riskieren: Denn er erhielt von den Bankern des neuen Schlags zunächst einen Überbrückungskredit. Mit dem vorgestreckten Geld machte er den Aktionären des Opfer-Unternehmens ein attraktives Angebot, das deutlich über dem normalen Börsenkurs der Firma lag. Hatte er seine Aktienmehrheit zusammen und die Firma unter seiner Kontrolle, konnte er das Unternehmen verpfänden und mit dem Erlös den Überbrückungskredit zurückzahlen. Die erbeutete Firma finanzierte selbst den Coup.

Mit minimalem Einsatz an eigenem Kapital hatte der Corporate Raider eine Firma erbeutet. Das beträchtliche Risiko – die Firma war nun hoch verschuldet und konnte zahlungsunfähig werden – trugen die Kreditgeber, die Käufer der Anleihen. Die jedoch ließen sich von der Gefahr nicht schrecken, denn es winkten fette Renditen: Die riskanten Junk-Anleihen waren äußerst lukrativ verzinst.

Solche Geschäfte waren, ganz im Geist der Achtziger, nichts für zarte Gemüter. Der Angreifer entsorgte den unprofitablen Ballast der Firma und machte Kasse. War für die Einzelteile der Firma ein höherer Preis zu erzielen als für das Gesamtunternehmen, wurde es zerlegt. Die Filetstücke kamen unter den Hammer, der Rest wurde dichtgemacht. Die Renditen waren in der Regel enorm, und Herren des Universums öffneten den Schampus.

Dass die Beteiligten schlaflose Nächte durchwachten, weil sie das soziale Gewissen plagte, ist nicht überliefert. Dass tagsüber Porsche-Händler durch die Handelsräume der Investmentbanken streiften, um die Bestellungen aufzunehmen, hingegen schon. Die jungen Wilden – risikofreudige "Whizkids", die keine Erinnerung an die Weltwirtschaftskrise und ihre Ausläufer mehr belastete – warfen ungehemmt mit Geld um sich, auf dem Parkett und nach Feierabend sowieso. Auf großen, lauten und – übrigens – sehr teuren Parties feierte sich die Szene selbst, Presse willkommen. Die Avantgarde der Yuppie-Kultur, die an den Finanzplätzen spross und gedieh, pflegte Oberklasse-Hobbys – Reiten, Fliegen, Golf, exklusiver Tennis-Klub –, wohnte edel, gönnte sich eine Yacht oder die Stretch-Limo. An guten Tagen gab’s schon mal ein Gramm Koks auch für die Sekretärin.

Doch den Insignien des Sozialaufstiegs zum Trotz: Vornehm war man nie. "Viele von uns wären als Verkäufer an einem Marktstand genauso erfolgreich", kommentierte ein Londoner Aktienhändler seinen Berufsstand. Sein Arbeitsplatz, die Londoner City, zählte in der zweiten Hälfte der Achtziger Jahre zu den heißesten Finanzmärkten weltweit. Nirgendwo war die neue Zeit des Turbo-Investments mit solcher Wucht angekommen wie dort. Nirgendwo hatten sich die Verhältnisse so radikal und über Nacht geändert.

Banker nach Sibirien

Noch zu Beginn der Achtziger Jahre war die Londoner City ein beschauliches Plätzchen gewesen – aus der Perspektive von Lisa Endlich, später Vizepräsidentin von Goldman Sachs, "das Sibirien des Investment-Bankings, ein Ort der Verbannung für diejenigen, die die Firma zu vergessen wünschte." Allerdings ein Sibirien, in dem es entspannt zuging. An der Börse regierte das "Old Boys Network": die eng verbandelte Upper Class, ein bisschen snobistisch, sehr konservativ – der Dresscode erlaubte Variation nur bei der Breite der Nadelstreifen.

Man blieb unter sich und ließ es sich gut gehen. Verbindlich festgelegte, üppige Margen für die Abwicklung von Transaktionen ließen Konkurrenzgehabe unnötig anstrengend erscheinen, rechtliche Barrieren hielten Fremde aus dem Geschäft. Und doch, der Börsenhandel ist ein hartes Gewerbe, weshalb es zweieinhalb Stunden nach Handelsbeginn üblicherweise an der Zeit war, an der Bar die ersten Drinks zu nehmen.

Doch am 27. Oktober 1986, dem Tag des "Big Bang", des Urknalls für die neue Londoner City, fielen die Barrieren, die das Börsenbiotop so lange geschützt hatten. Die Regierung Thatcher gab den Markt frei, feste Margen waren passé, ausländische Banken bekamen ungehinderten Zugang. Schon im Vorfeld des großen Tages warben die Newcomer aus dem Ausland im großen Stil Leute ab. "Ich wurde von einer großen Investment-Bank nach New York geflogen", erinnert sich der Broker Philip Augar in seinem Rückblick The Death of Gentlemanly Capitalism. Dort bekam er "einen Handelsraum so groß wie das gesamte Londoner Börsenparkett gezeigt und ein Haus in Hampstead als Unterzeichnungsbonus geboten." Die Amerikaner brachten das neue Zeitalter an die Londoner Börse, Umsätze und Gehälter explodierten. Wilde und exotische Anlageformen wurden erfunden. Die gemütlichen Zeiten waren vorbei.

Zum Meeting in die Badewanne

Während noch 1986 ein britischer Investmentbanker über den Vorschlag seines amerikanischen Kollegen spottete, sich morgens um halb acht bei einem Business-Frühstück zu besprechen ("Warum treffen wir uns nicht eine Stunde früher bei mir zu Hause und baden zusammen?"), betrachtete man in den Neunziger Jahren 60 bis 70 Arbeitsstunden pro Woche bereits als völlig normal und eine 40-Stunden-Woche als kleine Pause zwischendurch. Der Takt war rasant, der Markt forderte blitzartige Reaktionen. Fehler und Krisen führten zu nicht minder blitzartigen Kündigungen.

Wer dem rasenden, fordernden Leben, dem permanent hohen Risiko beim Wertpapierhandel gewachsen war, zählte sich zur Elite der Finanzwelt. Anderen in der Branche erschloss sich das nicht immer schnell genug. Einem Schwergewicht aus der Chefetage von HSBC – einer ganz normalen, ergo langweiligen Geschäftsbank – schienen die Verhältnisse nicht ganz klar zu sein, als er eine frisch zugekaufte Broker-Firma besuchte und sich über deren sparsames, schnörkelloses Ambiente mokierte. In den Büros des Haupthauses, ätzte er, werde ihm die Arbeit jetzt wie in einem Palast erscheinen.

Aus den Reihen seiner neuen Angestellten wollte ihm niemand widersprechen. Das sei eben der Unterschied zwischen normalen Bankern und Leuten im Wertpapiergeschäft, pflichtete ihm einer bei: "Ihr arbeitet in Palästen. Wir wohnen drin."


Der veröffentlichte Text hat beim abschließenden Redigieren an einigen Stellen leider gelitten. Deshalb ist hier die originale Fassung zu lesen. Das soll keine Kollegenschelte sein: Es geht in einer Redaktion oft hektisch zu, und so etwas kommt vor. Sie finden den Text, wie er letztendlich erschienen ist, bei Spiegel Online.