Europäische Diplomaten haben es manchmal nicht leicht. Sie sollen ein Land, das inmitten der heißesten Krisenherde des Vorderen Orients liegt, davon überzeugen, dass es zu seiner Sicherheit eine Atombombe nicht wirklich braucht. Zwar mögen drei Länder in der unmittelbaren Nachbarschaft – Russland, Pakistan, Israel – nicht ohne Nuklearwaffen auskommen. Und die Truppen der Amerikaner, die Teheran nicht wohlgesonnen sind, stehen gleich hinter der Grenze im Irak und in Afghanistan. Doch die EU-Diplomatie, deren politische Überzeugungsarbeit in diesem Umfeld schlechte Karten hat, setzt in den Gesprächen mit dem Iran auf ein bewährtes Mittel der Konsensbildung: auf die Verlockungen des Geldes.
Die europäischen Unterhändler stellen dem Iran Handelsabkommen und einen Beitritt zur WTO in Aussicht, um der angeschlagenen iranischen Wirtschaft wieder auf die Beine zu helfen. Der Iran hat mit enormen Problemen auf dem Arbeitsmarkt zu kämpfen, und deshalb sind nach dem Kalkül der Europäer wirtschaftliche Reformen, Investitionen ausländischer Firmen und die Einbindung des Landes in den Weltmarkt unerlässlich. Diese Auffassung wird auch im Iran geteilt. So erhofften sich schon die Reformer um den scheidenden Präsidenten Khatami davon eine Verbesserung der Lebensverhältnisse und betrachteten die wirtschaftliche Liberalisierung als einen Schritt zum Abbau der übermächtigen Staatsbürokratie.
Aber auch unter den Konservativen halten pragmatisch ausgerichtete Politiker die Öffnung des Landes für längst überfällig. Sie tun das jedoch aus anderen Gründen als die Reformer: Ihnen geht es vielmehr um den Erhalt des politischen Systems. Schon jetzt kommt es immer wieder zu sozialen Unruhen. Die Baby-Boomer brauchen Arbeit, und nur bei anhaltend kräftigem Wirtschaftswachstum können sie in der Islamischen Republik noch eine Perspektive für sich sehen. Die Pragmatiker des Regimes fordern deshalb dringende Reformen ein, und diese Auffassung hat Gewicht im Iran. Ihr mächtigster Vertreter, Ali Akbar Hashemi Rafsandschani, gehört zu den am besten vernetzten Politikern des Landes. Er steht für das "chinesische Modell": Liberalisierung ja, aber nur in der Wirtschaft. Seine Niederlage bei der Präsidentschaftswahl hat zwar gezeigt, wie unbeliebt Rafsandschani bei der großen Mehrheit der Bevölkerung ist, doch sein persönlicher Einfluss im politischen Klerus, sein Reichtum und seine Ämter – er leitet den "Rat für die Feststellung des Staatsinteresses" und ist stellvertretender Vorsitzender des "Expertenrates"[1] – machen ihn unabhängig vom Wahlergebnis zu einem der wichtigsten Akteure in der politischen Landschaft Irans.
Trotz solch hochkarätiger Unterstützung für einen Kurs der wirtschaftlichen Öffnung erleben die Modernisierer eine Schlappe nach der anderen. So beim Bau des neuen Teheraner Flughafens: Die Gegner der Öffnungspolitik störten sich daran, dass maßgebliche Teile des Projekts an ein türkisch geführtes Konsortium namens TAV vergeben wurden. Zur Verdeutlichung dieses Standpunktes stürmten Armee-Einheiten der Revolutionären Garden während der feierlichen Eröffnung im Mai 2004 das Gelände und legten den Flughafen für das folgende Jahr still. Die ausländische Beteiligung am Projekt ist bis heute in der Schwebe, und das Parlament, das seit den Wahlen im Februar 2004 von Hardlinern dominiert ist, bedachte den zuständigen Transportminister mit einem Amtsenthebungsverfahren.
Ein ähnliches Debakel erlebte die Regierung bei dem Versuch, das Mobiltelefonnetz von einer Firmengruppe mit ausländischer Mehrheitsbeteiligung modernisieren zu lassen. Hier hat das Parlament sich gleich direkt der Vertragsgestaltung angenommen. In einem eigens dafür verabschiedeten Gesetz hat es die ausländische Beteiligung von 70% auf 49% zurechtgestutzt und bei der Gelegenheit auch noch die Vergütung reduziert. Dass die Verträge mit den Investoren bereits geschlossen waren und erhebliche Regressforderungen auf den Iran zukommen könnten, hat dabei nicht weiter interessiert.[2]
Die Liste ließe sich fortsetzen. Gerne wird von den Gegnern ausländischer Investitionen das Argument der nationalen Sicherheit ins Feld geführt. Die türkische TAV beispielsweise verfüge über Geschäftsbeziehungen nach Israel und sei deshalb als Mitbetreiber des neuen Flughafens ein untragbares Sicherheitsrisiko. Die Bedenkenträger gehören zur Fraktion der Traditionalisten, denen auch der neugewählte Präsident Ahmadi-Nedschad zuzurechnen ist. Um Arbeitslosigkeit und Armut zu bekämpfen, glaubt Ahmadi-Nedschad auf das Wohlwollen des Westens verzichten zu können: Er setzt auf mehr staatliche Jobs, finanziert durch Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft. Auch der mächtigste Mann im Staate steht den Traditionalisten nahe. Khamenei, dem die Verfassung in allen politischen Fragen die letzte Autorität zubilligt, ist zugleich Oberkommandierender der Streitkräfte – und damit auch der Revolutionären Garden, die den Flughafen besetzten.
Tatsächlich sind es weder Sicherheitsbedenken noch ideologisch motivierte Ängste vor westlichem Einfluss, die die Traditionalisten umtreiben. Es geht um Geld: um Einnahmequellen, die von enormer innenpolitischer Bedeutung sind. Im geschützten Biotop der iranischen Binnenwirtschaft ist ein System von Pfründen und Patronage entstanden, das dem politischen Klerus die Taschen füllt und seinen Einfluss sichert. Dazu gehören maßgeblich die Bonyads, die wohltätigen Stiftungen. Diese Stiftungen sind traditionelle islamische Einrichtungen der Fürsorge. Nach dem Sturz des Schahs machte die neue revolutionäre Führung sie zu einem Eckpfeiler ihrer Sozialpolitik und stattete sie mit dem Besitz des Schahs und mit dem Eigentum der Granden des gefallenen Regimes aus. Aus den Einnahmen sollten die Stiftungen ihre soziale Tätigkeit finanzieren.
Seitdem sind die Bonyads alles andere als schlichte Wohltätigkeitsorganisationen. Aus ihnen wurden Konglomerate, zu denen große Ländereien und ganze Industrien gehören. In den Händen von Stiftungen befinden sich Airlines, Universitäten, Baufirmen und Reiseveranstalter, sie dominieren den Markt für Cola, steuern Banken und sind als Reeder tätig. Die Imam-Reza-Stiftung in Maschhad besitzt 90% des fruchtbaren Bodens der Provinz Khorasan: Das entspricht, beispielsweise, drei Viertel der Fläche des Libanon. Sie ist auch der größte Arbeitgeber in der Provinz. Sieht man einmal vom Ölgeschäft ab, konzentrieren sich zwischen 40% und 60% der Wirtschaftskraft Irans in den Händen der Stiftungen.